Heute möchte ich Ihnen ein Buch vorstellen: Du musst nicht von allen gemocht werden: Vom Mut, sich nicht zu verbiegen. Es wurde von den japanischen Autoren Ichiro Kishimi und Fumitake Koga geschrieben und basiert auf den Theorien von Alfred Adler.
Falls Sie Alfred Adler noch nicht kennen, er gilt als einer der drei Giganten der Psychologie des 19. Jahrhunderts, neben Freud und Jung. Die Adlersche Psychologie ist auch als „Individualpsychologie“ bekannt, da sich sein Ansatz auf die Bedeutung der Förderung von Zugehörigkeitsgefühlen des Einzelnen im Kontext seiner Gemeinschaft konzentrierte. Adler gehörte zu Freuds „Mittwochs-Gesellschaft“ (die als Beginn der psychoanalytischen Bewegung bezeichnet wird), in der sich bekannte Persönlichkeiten der Psychologie und Psychiatrie trafen, um bei Kaffee und Kuchen Vorträgen zuzuhören und zu debattieren. Ich liebe dieses Bild – wir geben diesen Persönlichkeiten oft einen Heldenstatus, aber letztendlich sind wir alle nur Menschen und nur wenige von uns können einem Treffen mit Gleichgesinnten widerstehen, vor allem wenn es dazu Kaffee und Kuchen gibt!
Adler war auch der erste, der die Bedeutung des sozialen Elements für den Anpassungssprozess des Einzelnen betonte und der die Psychiatrie in die Gemeinschaft brachte.
Aber nun zurück zu dem Buch. Ziel der Lektüre ist es, uns einfache, aber tiefgreifende Lektionen beizubringen, damit wir unser wahres Selbst befreien und dauerhaftes Glück finden können. Im Wesentlichen gehen die Autoren davon aus, dass wir alle frei sind, unsere Zukunft selbst zu bestimmen, unabhängig von unserer Vergangenheit und den Erwartungen, die andere Menschen an uns stellen. Das ist eine interessante Theorie, oder? Sie steht im Gegensatz zu alternativen Theorien, die davon ausgehen, dass vergangene Traumata unweigerlich die Zukunft eines Menschen bestimmen.
Wie befreiend muss es für jemanden mit einer schwierigen Vergangenheit sein, zu lernen, dass seine Zukunft nicht durch diese schlechten Erfahrungen beeinflusst werden muss. Wir können die Architekten unserer eigenen Zukunft sein. Wir müssen uns nicht durch vergangene Traumata oder Zweifel oder die Meinungen, die andere Menschen von uns haben, einschränken lassen. Das Buch ist in Form eines Dialogs zwischen einem Philosophen und einem Jugendlichen geschrieben, was die relativ abstrakten Ideen anschaulich und verständlich präsentiert.
Ich werde im Folgenden kurz auf vier der im Buch beschriebenen Ansätze eingehen.
1. Die Trennung der Aufgaben
Wählen Sie den für Sie richtigen Weg für ihr Leben. Was denken andere Menschen über diese Wahl? Das ist die Aufgabe der anderen auf die Sie selbst keinen Einfluss nehmen können. Wahrscheinlich haben Sie es schon einmal gehört. Es hat keinen Sinn, Zeit und Energie damit zu verschwenden, sich über Dinge zu sorgen, die wir sowieso nicht kontrollieren können. Wir können (und sollten!) zwar an unserem eigenen Verhalten arbeiten, aber wir können niemanden zwingen, sein Verhalten zu ändern. Doch ist es nicht immer so einfach, zwischen den Dingen zu unterscheiden, die man kontrollieren kann und denen die man nicht kontrollieren kann.
Adlers Konzept der „Aufgabentrennung“ kann uns helfen, diese Unterscheidung etwas besser zu verstehen, indem wir uns fragen: „Wessen Aufgabe ist das?“. In der Praxis können wir dann in jeder Situation lernen, unsere eigenen Aufgaben, sowie die Aufgaben der anderen Person zu erkennen und darauf zu achten, dass wir die Dinge, die wir kontrollieren können, nicht mit denen verwechseln, die wir nicht kontrollieren können.
Ein Beispiel: Ein „People Pleaser“ (Person A) wird sich oft so verhalten, dass eine andere Person (Person B) sie mag. Wenn wir Adlers Konzept der „Aufgabentrennung“ auf diese Situation anwenden, könnten wir sagen, dass es die Aufgabe von Person B ist, zu entscheiden, ob sie Person A mag oder nicht. Hier hat Person A eine Aufgabe übernommen, die eigentlich von Person B erledigt werden sollte.
Fragen Sie sich in jeder zwischenmenschlichen Situation, egal ob es sich um eine Liebesbeziehung, ein Gespräch mit einem Kollegen oder ein Familiengespräch handelt: Was ist hier meine Aufgabe? Und was ist die Aufgabe der anderen Person?
Natürlich kann man nicht einfach von heute auf morgen einen Schalter umlegen und sich nicht mehr um Dinge sorgen, die man nicht kontrollieren kann – wie vieles im Leben muss man das bewusst üben. Aber denken Sie daran, wie viel zusätzlichen mentalen und emotionalen „Raum“ Sie hätten, wenn Sie diese Denkweise beherrschen!
2. Horizontale Beziehungen
Die Autoren ermutigen uns auch dazu „horizontale“ Beziehungen anzustreben. Was ist damit gemeint? Eine vertikale Beziehung ist eine Beziehung, in der eine Hierarchie besteht – einige der Beteiligten werden als höher gestellt angesehen, während andere in einer niedrigeren Position sind. Eine horizontale Beziehung hingegen ist eine Beziehung unter Gleichen. Unsicherheit führt unweigerlich zu vertikalen Beziehungen – sie veranlasst die Menschen zu der Annahme, dass andere über ihnen stehen und verhindert so die Bildung horizontaler Beziehungen. Wettbewerb ist ein weiterer Faktor, der horizontale Beziehungen verhindert – per Definition gibt es bei einem Wettbewerb einen Gewinner und einen Verlierer.
Das Buch gibt auch einige interessante Beispiele dafür, warum es sinnvoll sein könnte, selbst die Beziehungen, die wir normalerweise als vertikal ansehen, als horizontal zu betrachten – wie zum Beispiel die Beziehung zwischen Eltern und Kind oder zwischen Lehrer und Schüler.
3. Bestätigung
Im Leben sollte es nicht darum gehen Bestätigung von anderen zu suchen und doch leben so viele von uns auf diese Weise. Stattdessen sollten wir uns so anerkennen wie wir sind, feiern, was wir erreicht haben, und uns selbst Anerkennung und Bestätigung geben. Wir sollten daran arbeiten unser Selbstwertgefühl nicht mehr von anderen abhängig zu machen. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, ist das eine ziemlich große Aufgabe. Auch wenn es sicherlich nicht einfach zu erreichen ist, lohnt es sich auf jeden Fall danach zu streben. Dies ist übrigens ein sehr häufiges Thema in meinen Onlineberatungen.
4. Und natürlich der Mut nicht gemocht zu werden
Warum in aller Welt sollten wir uns unbeliebt machen wollen? Und was meinen die Autoren, wenn sie vom „Mut sich nicht zu verbiegen“ sprechen? Nun, es geht nicht darum unbeliebt sein zu wollen. Es geht darum nicht zuzulassen, dass die Angst nicht gemocht zu werden unser Handeln bestimmt. Wenn wir unsere gesamte Zeit damit verbringen uns darum zu sorgen, ob andere Menschen uns mögen, können wir unsere Zeit und Energie nicht darauf verwenden unser wahres Selbst zu entdecken. Stattdessen versuchen wir ständig uns in ein Schema zu pressen, das vielleicht von unserer Gemeinschaft, von den Menschen mit denen wir zu tun haben oder von unserer Geschichte vorgegeben wird.
Und das Wort „Mut“ wird hier nicht leichtfertig verwendet – es erfordert schon ein gewisses Maß an Mut aus dem Hamsterrad auszusteigen. Was könnten die Folgen sein? Wie werden unsere Beziehungen davon betroffen sein? Aber wie können wir unser wahres Selbst – die Person, die wir tatsächlich sind – kennen oder lieben lernen, wenn unser „Selbst“ nur ein Mischmasch dessen ist, was andere Menschen von uns wollen oder brauchen? Den Mut zu haben nicht gemocht zu werden, ist meiner Meinung nach ein großer Dienst an der eigenen Person.
Schlussbemerkung
Alles in allem hat mir dieses Buch und die darin angesprochenen Ideen sehr gut gefallen. Ich habe es jedoch nicht mit 5/5 bewertet, da ich einige Probleme mit der Darstellung des Schülers hatte (um ganz offen zu sein – ich fand ihn ziemlich nervig). Das mag daran liegen, dass ich das Hörbuch gehört habe, anstatt den Text zu lesen. Es könnte auch an den kulturellen Unterschieden zwischen mir und den Autoren liegen. Vielleicht bevorzuge ich aber auch nur manchmal einen etwas ruhigeren Umgangston.
Trotzdem habe ich das Buch Kolleg*innen und Klient*innen empfohlen und hatte einige sehr interessante Diskussionen mit den Mitgliedern unserer LIT-Community, als „Du musst nicht von allen gemocht werden“ das Buch des Monats in unserem Buchclub war.
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