Gefühle. Wir haben sie, wir wollen sie, wir leiden unter ihnen. Wie so vieles im Leben, ist es nicht immer einfach unsere Gefühle unter Kontrolle zu haben. Und vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig oder gut?
Gefühle in unserer Gesellschaft
In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen und Vorstellungen zum Thema Gefühle stark verändert. Während es noch nicht so lange her ist, dass Jungs stark sein sollten und ihre Gefühle im Griff haben mussten, wird heute von Männern gefordert, sie sollen Emotionen zeigen – aber bitte nicht zu viel. Frauen hingegen dürfen eher auch mal Weinen – aber zu dramatisch sollen sie dann bitte doch nicht werden. Und wollen sie Karriere machen, dann sollten sie lernen ihre Gefühle abzustellen und zu handeln “wie ein Mann”. Diese und viele weitere widersprüchliche Anforderungen im Bereich der Gefühle verunsichern viele Menschen. Gefühle und deren Ausdruck werden oft und schnell bewertet. Unser Alltagswortschatz ist voll davon: Memme, Zicke, Weichei, Dramaqueen, Heulsuse uvm. Viele Menschen fühlen sich verunsichert, fühlen sich gerade starken Gefühlen hilflos ausgeliefert und versuchen diese zu unterdrücken oder zu verhindern und scheitern oftmals langfristig daran.
Nutzen und Handlungsmöglichkeiten
Eine Antwort könnte sein, dass Gefühle gut und wichtig sind. Aus evolutionsbiologischer Sicht sind sie dies auch. Starke Emotionen wie Angst z.B. weisen uns auf Gefahren hin. Sie verdeutlichen uns, dass hier etwas nicht stimmt, wir vorsichtig sein müssen oder fliehen sollten. So sinnvoll solche Emotionen sind, sosehr treten sie heute aber meistens in Situationen auf, in denen dies nicht zwingend angemessen oder notwendig ist. Gefühle sind also gut und wichtig, sollten aber möglicherweise in Maßen genossen werden. Wie so vieles im Leben, von Schokolade über Alkohol bis Sport. Aber das ist leichter gesagt als getan. Wer kann seine Gefühle denn schon genau dosieren? Oft sind Gefühle doch etwas, das nicht (völlig) unserem Willen unterliegt, sondern vielmehr etwas, das – mehr oder weniger plötzlich – auftaucht und uns auch mal überrennt.
Was tun also, wenn einen die Gefühle übermannen? Unterdrücken? Ausleben? Welcher wäre hier der Mittelweg, gibt es den und wäre er überhaupt sinnvoll?
Gefühle und Achtsamkeit
Was sich in diesen Fragen vor allem zeigt ist unser Wunsch zu Handeln. Wir sind dazu erzogen und unser Gehirn ist darauf eingestellt, dass wir etwas tun (müssen). Aber wer sagt das? Warum müssen wir immer etwas tun und verändern?
Wie wäre es statt dessen, wenn wir (starke) Gefühle erst mal akzeptieren. Die Emotionen beobachten, hinnehmen und erleben? Also ganz bewusst wahrnehmen was da gerade vorgeht in unserem Körper und Geist. Welche Gedanken, welche Körperempfindungen gehen mit dem Gefühl einher? Um welches Gefühl handelt es sich genau? Wodurch wurde es ausgelöst? Allein durch das genauere beobachten stellen wir eine gewisse innere Distanz zu diesen Gefühlen her. Wir erleben sie, sie sind (momentan) Teil von uns, aber wir sind nicht nur dieses Gefühl und wir sind ihm nicht hilflos ausgeliefert.
Dieser Prozess kann oft bereits dazu beitragen, starke Gefühle besser zu verstehen (und auszuhalten). Ohne sie zu unterdrücken oder zu versuchen sie abzustellen, sondern einfach durch wertfreie Beobachtung und Beschreibung. Den meisten fällt dies nicht auf Anhieb leicht. Aber es lässt sich üben, z.B. mittels Tagebuchaufzeichnungen oder Gefühlsprotokollen – allein oder auch im Rahmen einer psychologischen Beratung.