Hatten Sie schonmal das Gefühl, dass Ihre negativen Gedanken überhand nehmen oder Sie gar kontrollieren? Wenn ja, dann haben Sie wahrscheinlich eine sogenannte kognitive Verzerrung erlebt. Kognitive Verzerrungen sind Denkmuster, die dazu führen, dass wir die Realität falsch wahrnehmen. Die meisten von uns machen gelegentlich diese Art von Denkfehlern, wenn sie aber zur Gewohnheit werden, können sie sich negativ auf unsere psychische Gesundheit auswirken. Sie können Angstzustände verstärken, Depressionen verschlimmern und unsere Beziehungen belasten. Deshalb möchte ich Ihnen in diesem Beitrag sechs gängige kognitive Verzerrungen vorstellen und Ihnen Tipps geben, wie Sie sie erkennen und überwinden können.

 

 

Kognitive Verzerrungen

Photo: Valeria Ushakova via Pexels

 

 

Was ist eine kognitive Verzerrung?

 

Unsere Wahrnehmung der Welt um uns herum wird durch unsere persönliche Lebensgeschichte und unsere Erfahrungen geformt. Verinnerlichte Denkmuster spielen dabei eine entscheidende Rolle bei unseren Entscheidungen und beeinflussen unser Verhalten maßgeblich. Wenn diese Denkweisen unseren Geist dazu zu bringen, die Realität auf ungenaue und oft negative Weise zu interpretieren, sprechen wir von einer kognitiven Verzerrung oder Denkfalle.

Oft sind wir uns nicht bewusst, in welchem Maße diese Denkmuster unser Leben beeinflussen. Dennoch können sie dazu führen, dass wir uns ohne erkennbaren Grund ängstlich, traurig oder frustriert fühlen. Für diejenigen, die verzerrtes Denken erleben, können ihre Gedanken vollkommen rational und richtig erscheinen, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht sind.

Studien deuten darauf hin, dass Menschen in kognitive Verzerrungen verfallen, um schwierige Lebensumstände besser zu bewältigen. Einige Expert*innen gehen sogar davon aus, dass sich diese Denkmuster als Überlebensmechanismus entwickelt haben könnten. Obwohl sie vielleicht kurzfristig von Vorteil sein mögen, erweisen sich diese Denkmuster langfristig oft als schädlich für unsere psychische Gesundheit. Sie können negative Emotionen und Überzeugungen verstärken, Gefühle von geringem Selbstwertgefühl steigern, Symptome psychischer Störungen verschlimmern und selbstzerstörerisches Verhalten fördern. Daher ist es wichtig, verzerrte Denkmuster rechtzeitig zu erkennen und zu durchbrechen, um eine gesündere Denkweise zu entwickeln und unser emotionales Wohlbefinden zu verbessern.

 

 

6 typische kognitive Verzerrungen

 

 

Schwarz-Weiß-Denken:

 

Schwarz-Weiß-Denken ist wohl die Denkfalle, die ich am häufigsten bei Klient*innen meiner Onlineberatung beobachte. Es wird auch als Alles-oder-Nichts-Denken, polarisiertes Denken oder Dichotomie bezeichnet und zeichnet sich durch eine Tendenz zum Denken in Extremen aus. Für Menschen mit dieser verzerrten Wahrnehmung gibt es keinen Mittelweg und keine Nuancen. Situationen, Ereignisse und Menschen werden nur in absoluten Extremen wahrgenommen, als perfekt oder furchtbar, gut oder schlecht.

Für eine Person, die schwarz-weiß denkt, kann schon ein kleines Missverständnis mit dem oder der Partner*in als Zeichen dafür gesehen werden, dass die gesamte Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, wobei die vielen Jahre des gemeinsamen Glücks völlig ignoriert werden. Ein weiteres Beispiel, das ich in meiner Onlinepraxis oft sehe, ist die Überzeugung, dass jemand nur dann wirklich erfolgreich ist, wenn er oder sie bei der Arbeit ein*e absolute*r Spitzenperformer*in ist, unabhängig von den tatsächlichen Leistungen und dem persönlichen Wachstum.

 

 

Katastrophisieren:

 

Katastrophisieren ist eine Tendenz, sich das schlimmstmögliche Szenario auszumalen. Diese Denkfalle ergibt sich aus der Neigung, die Schwere einer Situation oder potenzieller zukünftiger Ereignisse zu übertreiben oder zu überschätzen. Menschen, die katastrophisieren, stellen sich in jeder Situation den schlimmsten möglichen Ausgang vor, auch wenn dieser sehr unwahrscheinlich ist. Dieses Denkmuster kann zu verstärkten Angstzuständen, Stress und irrationalen Ängsten führen.

Zum Beispiel kann ein Mensch, der zum Katastrophisieren neigt, sich ausmalen, dass eine kleine Verspätung durch einen Stau dafür sorgen wird, dass er oder sie zu spät zu einem wichtigen Termin erscheinen wird, deshalb wohl den Job verlieren wird und schließlich finanziell ruiniert sein wird. Ein weiteres sehr typisches Beispiel ist das Deuten eines leichten Schmerzes als Hinweis auf eine schwerwiegende Krankheit.

 

 

Übergeneralisierung:

 

Wenn Menschen übergeneralisieren (oder auch überverallgemeinen), ziehen sie eine Schlussfolgerung aufgrund von wenigen Erlebnissen und wenden sie auf alle Situationen an. Übergeneralisieren kann sowohl anhand von bestimmten Situationen und Ereignissen, als auch persönlichen Eigenschaften geschehen.  Aus einem Einzelfall wird dabei eine allgemeine Regel oder ein Muster, das auf alle ähnlichen Ereignisse übertragen wird. Wenn zum Beispiel ein Date mal nicht so gut läuft, schlussfolgert eine Person, die übergeneralisiert, dass sie niemals einen Partner finden wird. Übergeneralisierung kann zu negativer Selbstwahrnehmung führen, die Problemlösung erschweren und zu Gefühlen von Hoffnungslosigkeit und Angst beitragen.

 

 

Selektive Abstraktion:

 

Selektive Abstraktion oder selektive Verallgemeinerung ist ein weiteres Phänomen, das ich häufig bei in meinen Onlineberatungssitzungen beobachte. Es ist oft mit Perfektionismus verbunden und betrifft besonders häufig erfolgreiche Menschen. Selektives Verallgemeinern bedeutet, sich ausschließlich auf einen negativen Aspekt einer Situation zu konzentrieren und alle positiven Aspekte auszublenden oder zu minimieren. Dies fördert die Überzeugung der Person, dass sie ungenügend und unvollkommen ist. Jemand, der diese Art von mentalem Filter erlebt, konzentriert sich zum Beispiel ausschließlich auf eine einzige Kritik oder einen Fehler und blendet jegliches Lob und positive Rückmeldungen völlig aus. Dies kann zu Gefühlen von geringem Selbstwertgefühl und einer negativen Lebenseinstellung beitragen.

 

 

Etikettierung:

 

Personen, die Etikettierung oder Labeling praktizieren, verwenden oft kritische oder negative Ausdrücke, um sich selbst und andere zu beschreiben. Als Basis für die Etikettierung wird häufig ein einziger Fehler oder einzelnes Merkmal genommen. Dies hat zur Folge, dass oft extreme und meist ungerechte Urteile über den Charakter oder die Identität einer Person (einschließlich der eigenen) gefällt werden, indem man sich selbst und andere auf ein einziges Merkmal reduziert, zum Beispiel „ein*e Versager*in“.

Ein Beispiel für eine Person, die sich selbst etikettiert, könnte jemand sein, der oder die sich aufgrund eines isolierten Fehlers sofort als „völlig inkompetent“ betrachtet. Wer andere labelt, könnte zum Beispiel einer unhöflichen Person begegnen und diese sofort als „schrecklichen Menschen“ bezeichnen, ohne zu bedenken, dass die Person möglicherweise einen schlechten Tag hatte oder persönliche Schwierigkeiten durchmacht. Solche Denkmuster können dazu führen, dass das Selbstwertgefühl negativ beeinflusst wird und Beziehungen leiden, da komplexe Individuen und Situationen auf vereinfachte, harte Urteile reduziert werden.

 

 

Personalisieren:

 

Eine weitere kognitive Verzerrung, die ich in meiner Arbeit als Onlineberaterin häufig erlebe, ist die Personalisierung. Dabei übernehmen Menschen irrtümlicherweise Schuld oder Verantwortung für Ereignisse, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Dies beinhaltet die fehlerhafte Zuordnung externer Ereignisse, insbesondere negativer Art, auf sich selbst. 

Eine Person, die personalisiert, könnte zum Beispiel fälschlicherweise annehmen, dass sie allein für die schlechte Laune einer Freundin verantwortlich ist. In Beziehungen könnte jemand, der personalisiert, glauben, dass er oder sie für jeden Streit und jede Meinungsverschiedenheit verantwortlich ist, selbst wenn die Probleme beide Partner betreffen. Diese kognitive Verzerrung führt oft zu Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen und wird häufig mit erhöhten Angstzuständen und Depressionen in Verbindung gebracht.

 

 

Negative Denkmuster überwinden

 

Haben Sie sich in dem einen oder anderen dieser Denkmuster wieder erkannt? Sehr gut! Denn der erste Schritt zur Bewältigung von kognitiven Verzerrungen ist diese erkennen und benennen zu können. Die gute Nachricht ist, dass die meisten irrationalen Denkmuster durch Selbstreflexion und mit etwas Übung überwunden werden können.

Wenn Sie sich das nächste Mal in einer unangenehmen Situation befinden, denken Sie daran, dass es nicht das Ereignis selbst ist, sondern Ihre Gedanken darüber, die Ihnen Unbehagen bereiten. Auch wenn Sie die äußeren Umstände nicht immer kontrollieren können, haben Sie doch die Möglichkeit, Ihre eigene Wahrnehmung zu ändern.

Ein guter erster Schritt ist es, die Gedanken, die Ihnen durch den Kopf gehen, genau zu beobachten und nach Mustern zu suchen, um zu erkennen, welche Art von verzerrtem Denken in diesem Moment stattfindet. Wenn Sie einen negativen Gedanken bemerken, fragen Sie sich, ob es Belege gibt, die diese Wahrnehmung bestätigen oder widerlegen. Gibt es möglicherweise andere Erklärungen für die Situation oder die Gefühle, die Sie gerade erleben? Übertreiben Sie eventuell die Schwere der Situation? Und wie würde jemand anderes, zum Beispiel ein*e gute*r Freund*in, die Situation interpretieren?

Wenn es Ihnen zu schwerfällt, Ihre kognitiven Verzerrungen alleine zu bewältigen, rate ich Ihnen, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Ein*e Psycholog*in oder Therapeut*in, der oder die sich auf kognitive Verhaltenstherapie (KVT) spezialisiert hat, kann Ihnen dabei helfen, ihre Denkfehler zu erkennen und zu überwinden.

Kognitive Verzerrungen zu identifizieren und zu überwinden ist entscheidend, um eine gesündere, positivere und widerstandsfähigere Denkweise zu entwickeln und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern.

 

 

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Wenn Sie regelmäßig mit negativen Gefühlen zu kämpfen haben, empfehle ich Ihnen auch meinen Blogbeitrag „Wie wir uns von negativen Gedanken lösen können“ und die Übung “Hände und Gedanken“ aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT).

 

 

Kognitive Verzerrungen - Wenn Ihr Gehirn Ihnen Streiche spielt

Photo: Liza Summer via Pexels

 

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