Wir alle können uns wahrscheinlich noch gut daran erinnern, wie wir den Beginn der Pandemie erlebt haben. Heute zweifelt wahrscheinlich kaum einer mehr daran, dass sie massive Auswirkungen auf unser Leben, unser Gesellschaft und ganz besonders auch auf unsere psychische Gesundheit hatte und nach wie vor hat. 

 

Psychische Gesundheit in einer Pandemie

 

Können Sie sich auch noch daran erinnern, wie es war, als die Pandemie bereits sechs Monaten anhielt? Und wie ist es im Vergleich dazu heute, wo die Pandemie schon weit über ein Jahr andauert? Als wir ungefähr diese kritische Grenze von sechs Monaten erreicht hatten, bin ich auf diesen Tweet gestoßen:  

 

 

Er stammt von Dr. Aisha Ahmed, die als Professorin für internationale Sicherheit an zwei Universitäten in Toronto (Kanada) und darüber hinaus als Vorsitzende des WIIS Kanada tätig ist und während ihrer beruflichen Laufbahn schon mehrere schwierige Langzeiteinsätze erlebt hat – in Afrika, Asien und im Nahen Osten.

Ihre Perspektive auf die „Mauer“ der damals bereits sechs Monate andauernden Pandemie fand ich damals besonders interessant. Wenn Sie einen Moment Zeit haben, kann ich auch Ihnen nur wärmstens empfehlen, ihren Tweet durchzulesen (auch wenn die Sechs-Monats-Marke bereits sehr sehr lange hinter uns liegt!).

Kürzlich erst habe ich wieder über diesen Post nachgedacht und darüber wie es unserer psychischen Gesundheit nach 6, 12 oder nun auch über 18 Monaten ergeht, sowie über das sehr reale Problem des Burnouts von Psycholog*innen und Therapeut*innen, das mir nun immer häufiger im Kontakt mit Kolleg*innen begegnet.

 

Psychische Gesundheit in einer Pandemie

 

Es ist nicht überraschend, dass die Pandemie unsere psychische Gesundheit beeinflusst hat. Tatsächlich könnte es sogar eine der (wenigen) guten Seiten dieser Pandemie sein, dass wir endlich mehr über psychische Gesundheit sprechen. 

Trotz der steigenden Impfquoten wurden in vielen Teilen der Welt neue Einschränkungen und Lockdowns eingeführt oder stehen möglicherweise demnächst bevor. Diese Einschränkungen und die damit einhergehende Unsicherheit haben unweigerlich Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit.

Diese WHO-Studie von Oktober 2020 bekräftigt dies. Sie stellte fest, dass die COVID-19-Pandemie in 93% der Länder weltweit entscheidende Angebote für die psychische Gesundheitspflege unterbrochen oder gänzlich gestoppt hat, während die Nachfrage nach psychischer Gesundheit steigt. 

In dem Artikel heißt es weiter, dass Trauer, Isolation, Verlust des Einkommens und Angst psychische Erkrankungen auslösen oder bestehende Erkrankungen verschlimmern können. Viele Menschen haben mit erhöhtem Alkohol- und Drogenkonsum, Schlaflosigkeit und Angstzuständen zu kämpfen. 

Gleichzeitig Ist die Versorgung mit Dienstleistungen für die psychische Gesundheit in vielen Gebieten unterbrochen worden. Die Menschen haben nicht mehr den gleichen Zugang zu diesen Dienstleistungen und Angeboten (die in vielen Gegenden ohnehin bereits Mangelware waren), wie vor der Pandemie. 

Selbst Menschen, die ihre eigene psychische Gesundheit als einigermaßen robust einschätzten, haben die negativen Auswirkungen zu spüren bekommen.

 

 

Psycholog*in oder Therapeut*in sein in einer Pandemie

 

Als Psycholog*innen bzw. Therapeut*innen sind wir vermutlich besonders gut dazu in der Lage zu erkennen, welche Auswirkungen auf die Psyche die anhaltenden Einschränkungen und die andauernde Ungewissheit tatsächlich haben, da wir nicht nur persönlich sondern auch in unserer Arbeit täglich damit konfrontiert werden.

Ortsunabhängig arbeitende Psycholog*innen und Therapeut*innen wie ich und meine Kolleg*innen in der LIT-Community befinden uns sogar in einer noch außergewöhnlicheren Position. Unsere Kolleg*innen und Klient*innen sind über den ganzen Globus verteilt, sodass wir Einblicke in das Leben während der Pandemie an vielen verschiedenen Orten der Welt erhalten haben.

Wie fast alles andere hat sich natürlich auch die Therapie in dieser Pandemie verändert.

Psycholog*innen und Therapeut*innen sind mit einer größeren Anzahl an Patient*innen und Klient*innen konfrontiert als in den letzten zwei Jahrzehnten – manchmal opfern sie ihre eigene Selbstfürsorge in ihrem Bemühen, mehr Klient*innen und Patient*innen zu versorgen und zu unterstützen.

Der Sommer ist z.B. für in Europa tätige Psycholog*innen und Therapeut*innen normalerweise eine eher ruhige Zeit. Das liegt an einer Kombination verschiedener Faktoren: Die Menschen machen Urlaub, reisen mehr und auch das Wetter hat positiven Auswirkungen auf die Gemüter.

Im Sommer 2020 fiel unser sogenanntes Sommerloch aber aus, ganz im Gegenteil erhielt ich mehr Anfragen denn je. Ich erhielt so viele Anfragen von Klient*innen, dass ich meine Kapazitätsgrenzen schnell erreicht hatte und keine neuen Klient*innen mehr annehmen konnte. Auch der Dezember ist normalerweise ein ziemlich ruhiger Monat, jedoch nicht so im Jahr 1 der Pandemie. 

Den meisten meiner Kolleg*innen ging es genauso. 

Die Folge ist, dass nun auch viele Psycholog*innen und Therapeut*innen selbst an den Rand des Burnouts geraten.

In einem Forbes-Beitrag vom Januar dieses Jahres (2021), der sich mit dem Thema Burnout von Psycholog*innen und Therapeut*innen befasst, skizziert der Autor einige der Maßnahmen, die von Psycholog*innen und Therapeut*innen gleichermaßen ergriffen werden, um die steigende Anzahl von Klient*innen bzw. Patient*innen bewältigen zu können:

  • Pausen auslassen
  • Kürzere Sitzungen, um mehr zu schaffen
  • Zeit mit der Familie opfern
  • Sitzungen zu ungewöhnlichen Tageszeiten einplanen

Da die meisten Fachkräfte im Bereich der psychischen Gesundheit ihren Berufsweg gewählt haben, weil sie Menschen helfen wollen, kann es ziemlich schwierig sein, „Nein“ zu sagen – vor allem, wenn Sie wissen, dass die Menschen die sie abweisen ihre Hilfe benötigen und auch bei vielen Kolleg*innen lange Wartelisten herrschen. Neben den Neuanfragen sind in der Pandemie auch viele ehemalige Klient*innen zu uns zurückgekehrt, diese abzuweisen und zu zwingen, bei jemand anderem “ganz von vorne” anzufangen fällt vielen erst recht schwer. 

Dennoch können die oben skizzierten Schritte keinesfalls eine nachhaltige Lösung sein.

Jeder längere Zeitraum, in dem Psycholog*innen oder Therapeut*innen über ihre Grenzen hinaus arbeiten müssen, führt unweigerlich zum Burnout, und das ist für niemanden gut.

Die Pandemie hatte und hat weiterhin drastische Auswirkungen auf die psychische Gesundheit – Sowohl für unsere Klient*innen als auch für uns Psycholog*innen und Therapeut*innen selbst.

 

Therapie in einer Pandemie

 

Als digitale Nomadin biete ich schon lange eine psychologische Onlineberatung an. Sie ist eine gute Möglichkeit, wenn man in seiner Mobilität eingeschränkt ist oder weit entfernt von der nächsten Praxis wohnt. Auch unter anderen Umständen ist die Telemedizin eine großartige Möglichkeit, Zugang zu einer Therapie oder Beratung zu bekommen, wenn man sonst vielleicht nicht dazu in der Lage wäre. 

Zu Beginn dieser Krise sahen sich viele meiner „Offline“-Kolleg*innen plötzlich in die Welt der Online-Therapie gedrängt – eine Welt, von der sie oft vorher wenig wussten oder dieser sehr skeptisch gegenüber standen.  

Einige von ihnen konnten die Telemedizin als eine praktikable Alternative annehmen, um ihre Dienstleistungen trotz Pandemie weiterhin anbieten zu können. Manchen wurde dies aufgrund von Regelungen zum Datenschutz und ständig wechselnden Vorgaben und fehlender Technik zusätzlich erschwert. Andere werden sie sogar als dauerhaftes Angebot in ihre Arbeit integrieren, während viele sich sehr danach sehnen, so bald wie möglich zu persönlichen Psychotherapien und psychologischen Beratungen zurückzukehren.

Besonders ungewöhnlich an dieser Pandemie-Situation ist auch, dass all meine Klient*innen und ich gleichzeitig mit (mehr oder weniger) derselben Krise konfrontiert sind. Aus dieser Perspektive war und ist es eine sehr einzigartige Situation, auch für uns Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen.

Und wie ich bereits erwähnt habe, sind meine Kolleg*innen und ich beschäftigter denn je. Ich habe auch einen Trend in Bezug auf die Themen, die während der Sitzungen auftauchen, festgestellt – ich kann zum Beispiel viel mehr Angst und Trauer wahrnehmen.

 

 

Eingeschränkte Möglichkeiten in der Pandemie & was wir stattdessen getan haben

 

Auch wenn unsere Möglichkeiten durch die Umstände in diesen vielen Monaten eingeschränkt wurden, haben wir Menschen eine immense Kraft, mit allen möglichen Situationen, die uns ereilen, fertig zu werden. 

Was für Dinge haben wir im vergangenen Jahr unternommen und ausprobiert? 

Wir haben den Kontakt zu unseren Familien und Freunden gesucht.  

Wir haben den Kontakt zu uns selbst gesucht. 

Wir haben besondere Mahlzeiten gekocht. 

Wir haben Sport getrieben. 

Wir haben getan, worauf wir Lust hatten, da wir zu Hause waren. 

Wir haben geschlafen. 

Wir trugen viel bequeme Kleidung.

Wir machten eine Pause vom Wettbewerb um Produktivität. 

Und wir machten auch eine Liste mit Dingen, die wir tun wollen, sobald der Lockdown endet. 

Inmitten all der Verzweiflung und Ungewissheit gab es also auch inspirierende und positive Aspekte. 

In vielerlei Hinsicht hat uns die Pandemie dazu gezwungen, innezuhalten, eine Pause einzulegen (oder auch viele) und unsere Prioritäten im Leben zu überdenken. Und während ich mich sehr darauf freue, endlich wieder „zur Normalität zurückzukehren“, hoffe ich auch, dass wir einige der positiven Aspekte, die wir im Laufe dieser sehr, sehr langen letzten eineinhalb Jahre erlebt und ausprobiert haben, in diese „neue Welt“ mitnehmen werden – Von einer besseren Verfügbarkeit der Telemedizin über mehr Möglichkeiten flexibel und remote zu arbeiten, bis hin zu mehr Zeit fürs Wesentliche und die Menschen, die uns wirklich wichtig sind.

 

 

Fazit

 

Die meisten von uns hätten nie gedacht, dass wir 1, sogar 2 Jahre, nachdem die globale Pandemie begonnen hat, unser tägliches Leben zu beeinflussen, immer noch mitten im Geschehen sein würden, und egal, wie lange es dauert, bis die Dinge wieder „normal“ werden, wir werden noch eine ganze Weile mit den Nachwirkungen dieser Pandemie zu tun haben. Sobald es wieder möglich ist, wird es viel zu tun geben um uns auszuruhen, zu erholen und wieder aufzubauen, aber bis dahin ist Resilienz statt Widerstand der Weg, um die Pandemie zu überstehen. 

Und, wie immer: gönnen Sie sich eine Pause. Wenn Sie sich angesichts weiterer Einschränkungen oder der Tatsache, dass wir bereits ein ganzes Jahr in der Pandemie stecken besonders entmutigt fühlen oder wenn Sie den Verlust von Kreativität oder Motivation befürchten, denken Sie an die Worte von Dr. Aisha Ahmed: 

 

„Dieser Einbruch ist nicht dauerhaft, noch wird er Sie durch diese Zeit der Widrigkeiten definieren… Fürchten Sie sich nicht. Wir sind durch eine erschütternde globale Katastrophe … mit Einfallsreichtum & Mut navigiert. Wir haben bereits neue Wege gefunden, um unter diesen rauen Bedingungen zu leben, zu lieben und glücklich zu sein.“

 

Psychische Gesundheit in einer Pandemie

Psychische Gesundheit in einer Pandemie

Subscribe now for monthly tips and exercises for your mental health & exclusive insights into my virtual practice

Thanks! Don't forget to check your inbox and confirm your subscription! See you soon